Innovationsmarketing
Die „klassische Methode“ der Innovation
Viele Unternehmen entwickeln heute ihre neuen Produkte immer noch nach dem Technology Push –Prinzip (siehe Abbildung 1). Dabei werden innerhalb der Entwicklungsabteilungen aus Resultaten der Basisforschung und Basisentwicklung Technologieplattformen entwickelt. Man fragt sich dann welche Produkte mit Hilfe dieser Technologien hergestellt werden könnten und beginnt sofort eine Produktentwicklung aus einer Anwendungsidee heraus, die Herstellung der Produkte folgt auf den Fuß, wobei das Marketing bzw. der Vertrieb dann erst nach Fertigstellung des Produktes mit dessen Markteinführung betraut wird. Der Zielmarkt, die genaue Anwendung und der Kunde muss erst genau definiert oder gesucht werden.
Abb.1:Technology Push Ansatz
Die Nachteile dieser Vorgehensweise liegen auf der Hand. Der Kunde und seine Bedürfnisse kommen in diesen Überlegungen viel zu kurz, oft wird an den Kundenbedürfnissen vorbeientwickelt. Das ist unter anderem eine Erklärung für die geringe Erfolgsquote von neuen Produkten im Markt. Innovationsmarketing setzt nun dort an die Bedürfnisse des Kunden früher ins Spiel zu bringen. Denn nur eine Innovation, die am Markt angekommen und akzeptiert ist, ist eine erfolgreiche Innovation und hat das Potential das für deren Einführung notwendige Geld wieder zurückzuverdienen und darüber hinaus einen guten Ertrag für die kommenden Jahre zu sichern.
Kundenbedürfnisse berücksichtigen
Nachfolgend wird beschrieben welche Methoden hilfreich sind, das Bedürfnis des Kunden in die Überlegungen bei der Produktentwicklung miteinfließen zu lassen.
Market Pull
Einen ersten Schritt in diese Richtung macht der Market-Pull Ansatz, der in Abbildung 2 dargestellt ist.
Abb.2: Market Pull Ansatz
In diesem Ansatz wird zuerst der bestehende Markt untersucht und Trends aufgespürt, in welche Richtung sich der Markt entwickeln könnte. Daraus wird versucht momentane und zukünftige Marktbedürfnisse abzuleiten und daraus ein passendes Produkt zu entwickeln und schlussendlich herzustellen. Die anschließende Markteinführung fällt bei diesem Ansatz leichter, da der Zielmarkt und das Kundenbedürfnis bereits klarer definiert sind als im vorigen Technology Push Ansatz. Nachteilig in diesem Market Pull Ansatz ist jedoch, dass auf die technologischen Fähigkeiten des Unternehmens zu wenig Rücksicht genommen wird, da als Entscheidungskriterium zur Entwicklung und Herstellung eines Produktes hauptsächlich vom Kundenbedürfnis ausgegangen wird. Die Marketingabteilungen haben aber im Allgemeinen zu wenig Wissen um die technologischen Kernkompetenzen der Firma so wie sich Entwicklungsabteilungen oft schwer tun mit der Einschätzung der Kundenbedürfnisse. Einen Verschränkung des Technology Push – und Market Pull- Prozesses ist daher wünschenswert.
Integrierter Push-Pull Ansatz
Die Nachteile der vorher beschriebenen zu einseitigen Technology Push- und Market Pull- Ansätze versucht ein kombiniertes Push-Pull Modell (siehe Abbildung 3) zu eliminieren. Hierbei werden nun unter dem Dach einer Geschäftsstrategie, die von der Unternehmensleitung vorzugeben ist, die technologieorientierten Unternehmensteile wie zum Beispiel R&D, Engineering und Produktion und die eher marktorientierten Abteilungen wie Verkauf und Marketing zu einem intensiven Austausch aufgefordert, sodass die eine Seite Markt- und Kundenbedürfnisse innerhalb bestehender Märkte oder auch neuer Trends in die Produktentwicklung miteinbringen kann und die technologischen Abteilungen eine technische Realisierung mit den firmeneigenen Kernkompetenzen, Technologien und Know How abschätzen kann. Erst nach dieser Abstimmung soll es zur Produktentwicklung, Herstellung und Vermarktung des Produktes kommen.
Abb.3: Integrierter Push Pull Ansatz
Netzwerkansatz
Heutzutage ist es jedoch notwendig Know How und Informationen nicht nur von internen Know How-Trägern und Kunden zu bekommen , sondern von allen möglichen anderen Quellen. Nicht nur Kunden, sondern auch Lieferanten oder generell Geschäftspartner können zur Quelle von Kundenbedürfnissen und Produktideen werden. Eine gezielte Suche in Patenten und Literatur sowie eine Beobachtung der Wettbewerber können ebenfalls zielführend sein.
Abb.4: Netzwerkansatz
Der neueste Ansatz ist der Open Innovation Ansatz, mit dem aus mehreren externen Quellen verteilt über alle Branchen und Bevölkerungsschichten (Crowd Sourcing, Lead User Ansatz, Netnography, soziale Netzwerke, Foren,…) Marktentwicklungen, Kundenbedürfnisse und neue Technologien an das Unternehmen herangetragen werden können. Gleich wie beim vorigen integrierten Push-Pull- Ansatz werden die Ideen und Potentiale zusammen von technologischen und marktorientierten Abteilungen in der Firma bewertet und in Produktideen überführt, entwickelt und vermarktet.
Customer Insights oder wie Kunden ticken
In den vorigen Kapiteln ist klar zum Ausdruck gekommen, wie wichtig es ist den Kunden und seine Bedürfnisse zu verstehen. Es ist jedoch nicht leicht für den Marketer und Produktentwickler, die realen Bedürfnisse der Kunden herauszufinden, da diese oft schwer zugänglich sind und auch vom Kunden in direkten Befragungen nicht kommuniziert werden, da die Bedürfnisse zum Teil nur unterbewusst vorliegen und vom Kunden so nicht artikuliert werden können. Nachfolgende soll eine kurze Auflistung ohne weitere Erklärung darstellen, dass es eine Reihe von Methoden gibt, um Kundenbedürfnisse festzustellen und dass dies eine breites und wichtiges Betätigungsfeld im Innovationsmarketing ist, um die Positionierung des Produktes beim Kunden stark zu verbessern.
Folgende Methoden finden Anwendung (ohne Anspruch auf Vollständigkeit)
- Kundenbefragung
- Nutzwertmodelle
- Conjoint-Analyse
- Kaufentscheidungsrelevante Kriterien
- Empathy Map
- Personas-Ansatz
- Contextual Interviews
Diese Methoden helfen, den Kunden und seine Bedürfnisse und sein Handeln besser zu verstehen, um das Produkt und das Geschäftsmodell darauf abgestimmt zu entwickeln.
Innovationen müssen am Markt ankommen
Auch wenn der Kunde verstanden worden ist, das Produkt richtig am Markt positioniert worden ist und ein klarer Kundenutzen im Produkt und/oder im Geschäftsmodell vorhanden ist, so kann es sein, dass das Produkt vom Markt nicht oder nur in zögerlicher Weise angenommen wird. Meist dauert es eine Weile bis Innovationen und neue Produkte von Kunden angenommen werden. Was im Kunden dabei vorgeht, zeigt Abbildung 5, den Adoptionsprozess nach Rogers (2003). So reicht es noch nicht Aufmerksamkeit beim Kunden durch Werbung zu erregen, es müssen auch die restlichen Schritte im Geiste des Kunden ablaufen, sodass das Produkt gekauft wird und kontinuierlich verwendet wird. Nach der Aufmerksamkeit muss der Kunde sich für das Produkt auch wirklich interessieren, er muss es bewerten und vergleichen können, um für sich den Kundennutzen und den Mehrwert ermitteln zu können. Oft kommt vor der Adoption des Produktes noch ein Test bzw. Versuch, um seine Annahmen zum Kundennutzen und zur Usability zu bestätigen und das Produkt dann in seinen alltäglichen Gebrauch zu übernehmen.
Abb.5: Adoptionsprozess
Dabei unterscheiden sich die Hürden auf diesem Weg zur Adoption des Produktes oft in ihrer Höhe, meist in Abhängigkeit des Innovationsgrades und der Innovationsart (Garcia/Calantone, 2002):
- Marketinginnovationsgrad
- Technologieinnovationsgrad
- Organisationsinnovationsgrad
- Umfeldinnovationsgrad
Der Grad der Neuheit von Innovationen ist für viele Kunden bestimmend wie leicht sie Innovationen in ihren täglichen Gebrauch übernehmen. Besonders bei radikalen Innovationen gibt es schwierige Lernprozesse für den Kunden, da der Gebrauch dieser neuen Innovationen von herkömmlichen Schemata bekannter Produkte und Dienstleistungen abweicht. Somit ergeben sich daraus oft „unsichtbare“ Adoptionsbarrieren (Veryzer, 1998).
Bei der Annahme neuer Produkte können Kunden in verschiedene Typen eingeteilt werden, je nachdem wie leicht und wie schnell sie Innovationen und neue Produkte annehmen. In Abbildung 6 ist dargestellt, dass meist nur ein kleiner Teil der potentiellen Kunden die Innovation am Anfang annehmen. Sie, die Innovatoren unter den Kunden, machen nur ca. 2,5% der gesamten potentiellen Kunden aus. Bei weiterer Diffusion der Innovation im Markt übernehmen ca. 13,5% als Early Adopters das Produkt, bevor der Bann gebrochen ist und die große Masse (Early Majority, 34%) kommt und damit das Produkt zu einem Massenprodukt wird. Die zweite Hälfte der Kunden hängt der Innovation zeitlich meist deutlich hinterher. Ca. 16% werden als Nachzügler bezeichnet und nehmen die Innovation, wenn überhaupt, erst sehr spät an, wenn diese bereits gut etabliert ist.
Der Zusatznutzen von Innovationsmarketing
Marketing ist nicht gleich Werbung, sondern bietet einen erheblichen Nutzen für eine Firma bei der Gestaltung und Entwicklung neuer Produkte und Geschäftsmodelle. Folgende Punkte werden durch das Innovationsmarketing betrachtet und verbessern die Treffgenauigkeit bei der Entwicklung und der Markteinführung neuer Produkte:
- Eine Unternehmensstrategie ist wie ein roter Faden für das Unternehmen
- Das neue Produkt passt zur Strategie des Unternehmens
- Das neue Produkt harmoniert mit dem Unternehmensimage und dem Corporate ID
- Das neue Produkt nutzt und unterstreicht die Kernkompetenzen und die eigenen Fähigkeiten
- Der Markt ist keine Unbekannte mehr
- Kundenbedürfnisse sind bekannt
- Der Kundennutzen des Produktes ist klar ersichtlich und kann kommuniziert werden
- Das Produkt kann auf das Kundenbedürfnis hin optimiert werden, Kosten können dabei eventuell gespart werden durch Weglassen unwichtiger Features
- Die Zielmärkte sind bekannt und werden richtig segmentiert
- Die technischen und wirtschaftliche Barrieren bei der Markteinführung sind bekannt, Konzepte für deren Umgehung erarbeitet
- Man weiß, wie man den Kunden erreichen kann
- Man hat eine Idee, was man tun muss, dass der Kunde das Produkt annimmt
- Ein zeitlich und finanziell strukturierter Plan zur Markteinführung des Produktes gibt Klarheit
- Es gibt weniger Überraschungen bei der Markteinführung durch nicht bedachte Dinge
- Es gibt ein klares Programm zur Gestaltung der Produkte, der Preise, der Kommunikationspolitik und der Distribution (Marketing Mix)
Innovationsmarketing im Alltag
Die Conclusio aus den vorhergehenden Kapiteln ist, dass Innovationsmarketing oder allgemein die Einbeziehung kunden- und marktrelevanter Themen in den Innovations- und Entwicklungsprozess neuer Produkte viele Vorteile bringt. Der Erfolg eines Innovationsprojektes hängt meist an der Güte der Zusammenarbeit und Kommunikation verschiedener Abteilungen und Disziplinen in einer Firma. Zur Verbesserung der Wirksamkeit von Innovationsmarketing ist vor allem eine Intensivierung der Zusammenarbeit von Entwicklung, Technik, Marketing und Verkauf unabdingbar. Es muss das Verständnis geschaffen werden, dass beide Disziplinen für einen Erfolg eines neuen Produktes notwendig sind. Ohne Marktkenntnisse und Wissen um die Positionierung des Produktes wird die R&D Abteilung nicht wirklich erfolgreich sein, ohne profunde technische und technologische Expertise wird das Marketing nicht in der Lage sein, ein Produkt mit einem dementsprechenden Kundenutzen zu entwickeln.
Ein gegenseitiges Verständnis für die Thematik ist wichtig. So können zum Beispiel die Techniker des Hauses ihre Marketingkollegen schulen und Ihnen das technische Grundverständnis über die Kompetenzen und Fähigkeiten der Firma beibringen, während es den führenden Entwicklern der Firma gut tut, ein Marketingseminar zu besuchen, um die Grundzüge dieser Disziplin kennenzulernen. So ist der Entwickler besser in der Lage sich in die Bedürfnisse des Kunden hineinversetzen zu können.
Eine Verbesserung der Zusammenarbeit von Marketing und Technik bewirken zum Beispiel auch gemeinsame Kundenbesuche. Der Techniker lernt die Welt des Kunden kennen und kann sich in seine Anforderungen besser hineindenken. Er bekommt die Infos nicht mehr nur gefiltert durch die Brille des Marketings oder aus diversen Besuchsberichten. Somit geht weniger Information verloren, die wichtig ist für den Techniker zur Ideenfindung und Gestaltung neuer Produkte. Der Vorteil für den Marketingkollegen ist, dass er eine sofort verfügbare technische Unterstützung dabei hat und somit sofort und interaktiv auf die oft technischen Fragestellungen des Kunden eingehen kann.
Die Zusammenarbeit der Bereiche Technik und Marketing lässt sich auch dadurch verbessern, dass Marketingthemen bereits früh d.h. in den beiden ersten Stufen in einem Stage Gate Prozess verankert werden und abgearbeitet werden müssen. So ist die Technik gezwungen, das Marketing frühzeitig einbeziehen zu müssen. Die Einsetzung eines Projektleiters, der nicht unbedingt ein Techniker, sondern eher ein Generalist und Netzwerker ist, fördert auch die Zusammenarbeit der Abteilungen.